Glumanda, Bisasam und Schiggy sind wieder da! Und mit ihnen ihre Evolutionen Glurak, Bisaflor und Turtok. Doch mit Evolution im biologischen Sinn hat Pokémon nichts zu tun. Der eiskalte Versuch unseres Science-Bloggers, den Pokémon-Wahnsinn als Bio-Nachhilfe zu missbrauchen.
DER Hype der Neunzigerjahre ist zurück! Mit der Lancierung von «Pokémon Go» hat es Nintendo geschafft, den Hype um die Taschenmonster nahtlos von den Gameboys der Neunziger auf die Smartphones der Gegenwart zu übertragen.
Das Spiel versetzt Pikachu & Co. aus der Poké-Welt direkt in unsere Parks, Wälder und Hinterhöfe. Mittels Handykamera und GPS-Ortung können wir die Umgebung erkunden, die kleinen Monster mit Pokébällen fangen und Pokémon-Arenen erobern. Zugegeben: Die Kämpfe und das Typensystem sind bei Weitem nicht so packend wie in den Original-Spielen. Aber ein grundlegendes Elemente des Originals bleibt erhalten: Die Pokémon «evolvieren» von «tieferen» zu «höheren» Erscheinungsformen.
Was bedeutet Evolution?
Gewisse Pokémon verwandeln sich, wenn sie ein bestimmtes Level erreichen; andere, wenn sie einen bestimmten «Evolutionsstein» erhalten; und wiederum andere, wenn sie gegen ein fremdes Pokémon getauscht werden. Ja, Pokémon zu trainieren ist eine Wissenschaft für sich.
Allein: Mit Evolution im biologischen Sinne hat das nicht viel zu tun. Wenn schon, durchlaufen Pokémon wohl eher eine Metamorphose als eine Mutation.
Doch was bedeutet Evolution überhaupt?
Ich werde den Hype um «Pokémon Go» nun eiskalt ausnutzen, um – viel zu kurz und stark vereinfacht – die Grundprinzipien der biologischen Evolution zu erklären.
Glumandas erfolgreiche Fortpflanzung
Evolution beschreibt einen Prozess, bei dem eine Kombination aus Mutationen des Erbguts, Umwelteinflüssen und Zufällen zu einer Auslese bzw. Selektion führt. In der Biologie wird nach wie vor diskutiert, welche biologischen Einheiten direkt von dieser Selektion betroffen sind: Moleküle und Gene? Zellen und Gewebe? Einzelne Organismen? Oder sogar Gruppen beziehungsweise Arten?
Für diesen Text nehme ich der Einfachheit halber an, dass evolutionäre Selektionszwänge nur auf ein Individuum wirken – zum Beispiel auf ein einzelnes Glumanda. Das Glumanda mit seinen genetischen sowie entwicklungs- und verhaltensbiologischen Eigenschaften hat genau dann einen evolutiven Vorteil gegenüber seinen Artgenossen, wenn ihm diese Eigenschaften dabei helfen, sich besonders erfolgreich fortzupflanzen.
Nehmen wir an, Pokémon können sich nur in freier Wildbahn fortpflanzen – zum Beispiel, weil das Leben in Pokébällen unfruchtbar macht. In dem Fall ist jenes Glumanda im Vorteil, das sich besonders gut aus Pokébällen befreien kann. Wenn dieser Selektionsvorteil über zahlreiche Generationen anhält, wird die Glumanda-Population nur noch Individuen enthalten, die sich Pokémon-Trainern erfolgreich entziehen können. Der Poké-Ball verliert seine Wirkung und ein Superball muss her.
Wichtig dabei: Die Eigenschaften eines Individuums sind zwar genetisch sowie entwicklungs- und verhaltensbiologisch bestimmt. Doch ob sie auch einen Selektionsvorteil bringen, hängt immer von der Umwelt ab. Wenn Pokébälle nicht unfruchtbar machen, dann muss die Fähigkeiten, sich daraus befreien zu können, nicht unbedingt ein Vorteil sein.
Evolution sorgt für Antibiotikaresistenzen
Damit ein bestimmter Selektionsvorteil an die Nachkommen weitergegeben werden kann, muss er seinen Ursprung im Erbgut haben. Zum Beispiel über eine nützliche Mutation eines bestimmten Gens. Solche Veränderungen entstehen aber nicht gerichtet, sondern zufällig.
Das Paradebeispiel für eine «vorteilhafte» Mutation ausserhalb der Poké-Welt ist die Antibiotikaresistenz bei Bakterien [1]: Bakterien besitzen sehr schnelle Fortpflanzungsraten, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass in vergleichsweise kurzer Zeit Mutationen im Erbgut entstehen.
Wenn eine dieser Mutationen dafür sorgt, dass ein Bakterium resistent wird gegen ein bestimmtes Antibiotikum, dann hat es einen Selektionsvorteil gegenüber all jenen Bakterien in seiner Kolonie, die diese Mutation nicht besitzen und sterben. Nach kurzer Zeit wird die Kolonie nur noch aus resistenten Bakterien bestehen. Das Antibiotikum verliert seine Wirkung und ein neues Medikament muss her.
Mutationen sind aber nur selten vorteilhaft. Bestes Beispiel dafür sind Krebserkrankungen. Auch hier mutiert das Erbgut von Zellen, doch sorgen diese Veränderungen für ein unkontrolliertes Zellwachstum, das ohne Behandlung zum Ableben des betroffenen Individuums führt.
Nur an der Oberfläche gekratzt
Und auch wenn eine einzelne Mutation in einem einzelnen Gen unschädlich ist, ist es unwahrscheinlich, dass sie einen evolutiven Vorteil bringt. Zu komplex sind die Interaktionen zwischen Genen, Genprodukten und Umwelteinflüssen. Und wenn dann noch Formen der sexuellen Selektion oder – wie beim Menschen – kulturell Einflüsse hinzukommen, wird die Sache noch unübersichtlicher. Evolution in der Biologie ist eben nicht so simpel wie die Evolution eines Pokémon.
Leider fehlt mir die Zeit, um mehr in die Tiefe gehen zu können. Mein Handy zeigt mir nämlich an, dass sich hier ganz in der Nähe ein Enton versteckt hält. Ich muss los: Gotta catch them all!
Referenzen
Antibiotikaresistenzen bringen den Bakterien einen evolutionären Vorteil. Für uns Menschen sind resistente Bakterien jedoch eine riesige Gesundheitsgefahr.
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