Lithium ist ein Leichtmetall und steht an dritter Stelle im Periodensystem. Entdeckt wurde das chemische Element zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Es kommt als Spurenelement zum Beispiel in Mineralwasser vor. Interessant ist aber vor allem die Anwendung in der Medizin; dort wird Lithium gegen verschiedene psychiatrische Erkrankungen eingesetzt.
Darüber, wie Lithium im Körper wirkt, ist überraschend wenig bekannt. Dass es aber eine Wirkung hat, wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt. Populär wurde die Lithiumtherapie aber erst im letzten Jahrhundert.
Eine zufällige Entdeckung
John Cade, ein australischer Psychiater, beobachtete bei einem Experiment mit Meerschweinchen, dass Lithium die Tiere beruhigt. Eigentlich wollte er untersuchen, ob es einen körpereigenen Stoff gibt, der zu Manien führt. Seine ursprüngliche These war, dass dieser Stoff mit dem Urin ausgeschieden wird. Um seine Vermutung zu bestätigen, injizierte er Meerschweinchen Urin von manischen Patienten. Das Lithium wurde dem Urin nur beigemengt, damit die Injektion einfacher zu applizieren war. Dann aber zeigte sich die beruhigende Wirkung des Mittels.
John Cade war einer der wichtigsten Personen, die dazu beitrug, dass Lithiumtherapien bei psychischen Störungen immer populärer wurden. Aber er war nicht der erste Wissenschafter, der Lithium in der Psychiatrie anwendete. William Hammond, Professor für Geistes- und Nervenkrankheiten am Bellevue Hospital Medical College in New York, verschrieb 1871 als erster Arzt Lithium gegen Manien. 1894 setzte der Dänische Psychiater Frederik Lange Lithium als Therapie gegen melancholische Depressionen ein.
Die Behandlung psychische Erkrankungen mit Lithium blieb nicht ohne Kritik. In den 1960er Jahren bezeichnete Aubrey Lewis, Professor für Psychiatrie am Krankenhaus in Maudsley, Lithiumtherapien als «gefährlicher Unfug». Viele praktizierende Ärzte distanzierten sich daraufhin von der Lithiumtherapie.
Trotz der Kritik gilt Lithium heute immer noch als Medikament der ersten Wahl zur Behandlung von manchen psychischen Erkrankungen, zum Beispiel der bipolaren Affektstörung. Die therapeutischen und toxischen Wirkungskonzentrationen sind jedoch sehr nahe. Darum sind bei der Lithiumtherapie konsequente klinische Nachkontrollen und regelmässige Plasmaspiegel-Kontrollen notwendig.
Geringeres Suizidrisiko
Eine weitere Anwendung findet Lithium heute in der Suizidprävention. Laut Andrea Cipriani, ausserordentliche Professorin am Department für Psychiatrie an der Universität Oxford, wird die Möglichkeit, Suizide durch Medikamente zu verhindern, unterschätzt.
In einem systematischen Review und einer Meta-Analyse kommt Cipriani zum Schluss, dass Lithium bei suizidal gefährdeten Patienten mit Stimmungsstörungen eine effektive Therapie sein kann. Es scheint, so Cipriani, dass Lithium im Vergleich zu Placebo-Präparaten das Suizidrisiko um mehr als 60 % reduzieren kann. Er und sein Team gehen davon aus, dass die Wirkung daher rührt, dass Lithium bei Patienten mit Stimmungsstörungen Rückfälle verhindern kann. Andere Belege deuten darauf hin, dass Lithium Aggressionen und impulsives Verhalten reduzieren kann.
Es gibt sogar auch Hinweise darauf, dass ein hoher Lithiumgehalt im Trinkwasser mit einer verringerten Anzahl von Tötungsdelikten zusammenhängt. Die Resultate sind zwar nicht signifikant, aber eine Tendenz wurde von dem griechischen Wissenschafter Orestis Giotakos und seinen Kollegen beobachtet. Lithium kommt natürlicherweise im Wasser vor. Der Regen wäscht es von den Steinen und aus dem Erdboden; so gelangt es ins Trinkwasser.
Wie das chemische Element wirkt
Doch wie wirkt Lithium im Körper überhaupt? Viel ist darüber nicht bekannt. Erst kürzlich jedoch berichtete die amerikanische Zeitschrift The Atlantic über eine Studie, die neue Einblicke in die Wirkungsmechanismen von Lithium gibt. Dafür hat Ben Cheyette, Professor für Psychiatrie an der Universität Kalifornien, eine Mauslinie herangezüchtet, der das Gen DIXDC1 fehlt. Dieses Gen nimmt eine Schlüsselrolle bei der Bildung und Formation von Neuronen ein. Mäuse, denen dieses Gen fehlt, zeigen Verhaltensauffälligkeiten. Nach der Gabe von Lithium verhalten sich die Mäuse jedoch wieder weitestgehend normal.
Forscher haben die Hirne der veränderten Mäuse untersucht. Dabei entdeckten sie, dass Dornfortsätze und glutamatergische Synapsen bei den Mäusen mit Verhaltensauffälligkeiten weniger dicht waren. Neuronen haben, vereinfacht gesagt, einen Eingang und einen Ausgang. Der Eingang ist eine geflechtartige Struktur. Hier docken die Ausgänge benachbarter Neuronen an: die Axonen. Glutamatergische Synpasen sind wichtig für die Signalübertragung im Gehirn. Auch die Dornfortsätze sind für die Funktion des Gehirns essentiell.
Heute geht man davon aus, dass diese Veränderungen im Gehirn eine wichtige Rolle bei verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Autismus-Spektrum-Störungen und bipolaren Störungen spielen. Nachdem Cheyette den verhaltensauffälligen Mäusen Lithium verabreichte, erhöhte sich die Anzahl der Dornfortsätze. Diese Erkenntnis ist ein kleines aber wesentliches Puzzlestück, das hilft, die Wirkung von Lithium besser zu verstehen. Vor allem aber ist es auch ein Schritt zum besseren Verständnis psychischer Erkrankungen im Allgemeinen.
Dieser Artikel ist am 29. November 2016 im Science-Blog von NZZ Campus erschienen.
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