Kontext
Die Beziehung zwischen Wissenschaften und Politik ist eine anspruchsvolle. Im Idealfall ergänzen sich beide Gebiete und es kommt zu einem konstruktiven Austausch. Nicht selten jedoch stehen Probleme und Schwierigkeiten im Vordergrund, wie sie zum Beispiel die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt hat.
Die Corona-Pandemie ist jedoch nicht die einzige gesellschaftliche Herausforderung, die es zu meistern gilt. Deshalb möchte das Franxini-Projekt die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaften fördern. Um die konkreten Probleme, Bedürfnisse und Wünsche der involvierten Personen besser zu verstehen, hat Anna Krebs Wissenschaftler*innen aus allen Disziplinen zu einem Fokusgruppen-Interview eingeladen.
Folgende Personen haben sich angemeldet und mitdiskutiert: Dr. Alexandra Kroll (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Oekotoxzentrum, Eawag), Dr. Jeanine Ammann (Postdoc, Agroscope), Sophie Girardin (Doktorandin Neurowissenschaften, ETHZ) und Tanja Bhuiyan (Postdoc Biologie, Medical Center Freiburg).
Wer interagiert mit Entscheidungsträger*innen?
Eine von Anna Krebs Einstiegsfragen «Hast du schon mit Entscheidungsträger*innen interagiert?» löst einen spannenden Austausch aus.
Ihre Interaktion mit Entscheidungsträger*innen wird von den vier Naturwissenschaftlerinnen sehr unterschiedlich und vor allem positionsabhängig wahrgenommen. Obwohl sich alle Teilnehmerinnen des Interviews stark für eine solche Interaktion zu interessieren scheinen, hat diese in der Praxis offenbar bisher nur bei wenigen tatsächlich stattgefunden. Die drei jüngeren Wissenschaftlerinnen Jeanine Ammann, Sophie Girardin und Tanja Bhuiyan sehen den Grund dafür in fehlenden, direkten Kontakten zu Entscheidungsträger*innen. «Professoren haben entsprechende Kontakte und werden nach ihrer Meinung gefragt», erklärt Tanja Bhuiyan, «mich als Postdoc hingegen fragt keiner.» Aus Sicht der jungen Wissenschaftlerinnen fehlen oft geeignete Strukturen und die (subjektiv wahrgenommene) Legitimität oder Kompetenz, um Kontakte mit Entscheidungsträger*innen aufzubauen.
Flache hierarchische Strukturen, wie sie zum Beispiel beim Oekotoxzentrum vorhanden sind, erweisen sich laut Alexandra Kroll als förderlich, um auch jüngere und nicht festangestellte Forschende mehr in öffentliche und politische Diskussionen einzubinden. Dies setzt aber eine Sensibilisierung für dieses Thema in der jeweiligen Institution voraus.
Zusätzlich zu den fehlenden existierenden Strukturen scheint politisches und soziales Engagement sowie Wissenschaftskommunikation ein negatives Image in den Wissenschaften zu haben. So wurde Alexandra Kroll vor der derzeitigen Anstellung mehrmals vorgeworfen, sich nicht auf die wesentlichen Dinge in ihrer Arbeit zu konzentrieren, weil sie sich parallel zu ihrer wissenschaftlichen Karriere politisch engagierte. Sophie Girardin teilt diesen Eindruck: «Politisches Engagement kommt im akademischen Lebenslauf längst nicht so gut an wie das Organisieren von Konferenzen oder eines Journal Clubs.»
Erwartungen und Wünsche auf beiden Seiten
Um einen Austausch zwischen Wissenschaften und Politik zu fördern, interessiert sich das Franxini-Projekt für die Bedürfnisse von direkt Betroffenen. Deshalb die Frage an die vier Wissenschaftler*innen: «Was erwartet ihr von Entscheidungsträger*innen?»
Die vier Frauen sind sich einig: Dass sich Politiker*innen gut informieren, sei das wichtigste. Jeanine Ammann hat klare Erwartungen: «Politische Entscheidungen müssen wissenschaftlich fundiert sein und dürfen nicht aus Eigeninteresse, sondern gesellschaftsübergreifend getroffen werden.» Alexandra präzisiert: Wissenschaftliche Informationen sollen nicht nur gehört, sondern auch sorgfältig analysiert und eingebunden werden. Dazu gehört zum Beispiel, Informationen nicht nach Eigen- oder Parteiinteressen zu selektionieren.
Ein starker Wunsch an Politiker*innen ist ausserdem mehr Transparenz, durch die nachvollzogen werden kann, wann welche Informationen aus welchen Gründen in den politischen Entscheidungsprozess einfliessen. Dieser wird von aussen oft als langsam und frustrierend wahrgenommen. Ein besserer Einblick könnte dem entgegenwirken, meint Jeanine Ammann.
Im Interview versetzten sich die vier Forscherinnen aber auch in die Position der Entscheidungsträger*innen. Was könnten diese von Wissenschaftler*innen erwarten? Laut Alexandra Kroll verlangt die Politik von Wissenschaftler*innen klar verständliche Handlungsempfehlungen.
«Zu viel wird erwartet von Wissenschaftler*innen», meint Tanja Bhuiyan. Die Wissenschaften müssten sich permanent rechtfertigen - besonders für Grundlagenforschung, die nach aussen keine direkten Resultate erzielt.
Sophie Girardin und Jeanine Ammann wünschen sich mehr Mut unter den Wissenschaftler*innen. Wissenschaft kann und darf politisch sein und sollte nicht bloss hinter verschlossener Labortür passieren. Tanja Bhuiyan hat diesen Anspruch auch an sich selbst. Sie präzisiert jedoch: «Wer nicht im betroffenen Gebiet forscht, sollte lieber nichts sagen.»
Voraussetzung für eine gelungene Zusammenarbeit
Die Erwartungen auf beiden Seiten sind hoch und komplex. Umso wichtiger ist es zu verstehen, was für Betroffene wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind.
Jeanine Amman bringt das Stichwort «Vertrauen» in die Diskussion ein. Einerseits brauche es Vertrauen in die Wissenschaften, dass deren Erkenntnisse faktenbasiert sind. Andererseits brauche es Vertrauen von den Wissenschaften in die Politiker*innen, dass mit wissenschaftlichen Erkenntnissen sorgfältig umgegangen wird. Dass wissenschaftliche Erkenntnisse oftmals nicht eins zu eins umgesetzt werden können, muss Wissenschaftler*innen jedoch klar sein, merkt Tanja Bhuiyan an. Schliesslich fliessen zahlreiche Faktoren in politische Entscheidungsprozesse ein. Genau deshalb sei es wichtig, gemeinsame Ziele und die jeweiligen Rollen klar zu definieren und zu verteilen, meint Alexandra Kroll. Der besprochene Inhalt und die Begrifflichkeit müssen geklärt werden.
Hürden und Stolpersteine
Während des Interviews wurden unterschiedliche Herausforderungen in Bezug auf eine gelingende Zusammenarbeit zwischen Wissenschaften und Politik bereits angetönt. Nun will es Anna Krebs jedoch genauer wissen: «Was sind die grössten Herausforderungen oder Hürden, die ihr erlebt habt oder die ihr beobachtet?»
Die grösste Herausforderung besteht offenbar oft in einer Kombination aus unterschiedlichen Erwartungshaltungen und mangelndem Verständnis für die jeweilige Arbeit. «Ich beobachte das an mir selbst», meint zum Beispiel Jeanine Ammann, «wenn man nicht selbst involviert ist, ist es nur schwer nachzuvollziehen, wieso politische Prozesse so langsam ablaufen. Und umgekehrt wissen längst nicht alle Politiker*innen, wie Forschung betrieben wird. Da braucht es mehr Austausch, um mehr Verständnis zu schaffen.»
Bessere Kenntnisse über den Ablauf von Prozessen (in der Politik wie auch in den Wissenschaften) und mehr persönliche Kontakte könnten die Zusammenarbeit entspannen.
Bessere Transparenz und Kommunikation setzt jedoch eine gemeinsame Sprache mit einem gemeinsamen Vokabular voraus. Genau diese Sprache bildet jedoch eine weitere grosse Hürde in der erfolgreichen Zusammenarbeit. Als Beispiel erwähnt Alexandra Kroll das Konzept der Unsicherheit, das in den Wissenschaften bei praktisch jedem Resultat mitgedacht werden muss, von Politiker*innen und der Öffentlichkeit jedoch häufig mit schlechten oder gar unbrauchbaren Ergebnissen assoziiert wird.
Als Frau in den Wissenschaften
Da alle Teilnehmerinnen Frauen sind, drängt sich die Frage auf: «Spielt Gender eine Rolle in der Zusammenarbeit von Wissenschaften und Politik?» Alle vier Forscherinnen bejahen dies.
Aufgrund bestehender Strukturen hat es weniger Frauen in Positionen, in welchen Kontakt mit der Öffentlichkeit oder der Politik vorgesehen ist, erläutert Alexandra Kroll. Und sind Frauen doch in diesen Positionen, sei es für sie tendenziell schwieriger, sich Gehör zu verschaffen.
Nach Sophie Girardins Erfahrung interessieren sich Frauen generell auch für soziale und politische Aspekte, die über ihr Forschungsgebiet hinausgehe. Sie wollen sich aber zum Teil nicht exponieren oder angreifbar machen und halten sich deshalb zurück.
Wichtig wäre es, mehr Vorbilder zu haben. «Es gibt Hoffnung», meint Tanja Bhuiyan schmunzelnd. «Schliesslich ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel gelernte Physikerin.»
Ideen für die Zukunft
Die vier Wissenschaftlerinnen steckten voller Ideen, um die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaften zu verbessern:
- Ein Skill-Pool könnte helfen, Fragen von Politiker*innen zu spezifischen Themen zu beantworten. Fachpersonen wären in diesem Pool gesammelt und könnten so einfach kontaktiert werden.
- Policy-Briefs (kurze wissenschaftliche Publikationen zu relevanten politischen Themen) könnten vermehrt eingesetzt werden, um Entscheidungsträger*innen in effizienter und verständlicher Form zu informieren.
- Digitale Tools erleichtern die Interaktion, insbesondere bei beschränkter Zeit, und sollten deshalb mehr Gewicht erhalten. Es müssen Plattformen (und Zeiten) geschaffen werden, die den direkten Austausch fördern. Trainings für junge Forscher*innen, die sich in die Politik involvieren wollen, könnten den Einstieg erleichtern. Anreize für die aktive Mitarbeit, würden mehr Wissenschaftler*innen motivieren, sich zu beteiligen.
«Wir sind nicht allein»
Alle Teilnehmerinnen schätzten den Austausch mit Gleichgesinnten und bemerkten, wie wichtig es ist, zu realisieren, dass es sehr viele Menschen mit gleichen Interessen und der gleichen Motivation für eine gelingende Zusammenarbeit gibt.
Das Franxini-Team dankt den Teilnehmerinnen ganz herzlich für ihren Einsatz! Weitere Interviews werden auch mit Politiker*innen und anderen Stakeholdern durchgeführt, um in der Zukunft bei der Arbeit von Franxini noch besser auf konkrete Erwartungen und Wünsche der Beteiligten eingehen zu können.
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