Soziale medien

Coronavirus auf allen Kanälen – wem kann ich vertrauen?

Wie wir über das Coronavirus denken und was wir darüber wissen, beeinflusst neben Politikern auch Wissenschaftler und Medienschaffende. Was es dabei als Laie zu beachten gilt.

Ein Artikel aus dem Wissenschafts-Magazin higgs.

«Die Covid-19-Pandemie ist die grösste globale Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.» Oder, Achtung: Falschaussage: «Das Coronavirus ist nur eine Grippe.» Zwei Aussagen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch gleichermassen in Online-Medien zu finden sind. Nicht nur eine sondern beide Aussagen stammen auch von Wissenschaftlern. Wie aber kann es unter Forschenden mit medizinischer Ausbildung zu so widersprüchlichen Schlussfolgerungen bezüglich Letalität und Tragweite von Sars-CoV-2 kommen? Und wie kann man als Laie erkennen, ob man Christian Drosten oder Arzt und Politiker Wolfgang Wodarg vertrauen kann?

Fakten fehlten zu Beginn

Dass es bei Forschenden überhaupt erst zu so divergierenden Meinungen kommen kann, liegt an den publizierten Studien zum Coronavirus. Seit die Krankheit im November 2019 ausgebrochen ist, sind laut dem Cochrane Study Register weltweit über 2000 Studien registriert worden. Diese werden vermehrt vor einer Peer-Review, also vor Begutachtung durch Experten und ohne entsprechende zweite Überprüfung, auf sogenannten Pre-Print-Servern veröffentlicht.

«Bei den ersten Studien differierten die Zahlen bezüglich Mortalitäts- und Infektionsraten teils stark, einerseits regional und andererseits je nach Studie», sagt Christina Hölzel, Professorin und Mikrobiologin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Teilnehmerin am World Health Summit 2015 als Expertin des Bundesgesundheitsministeriums. «Wenn es unterschiedliche publizierte ‹Fakten› gibt und viele Daten schlicht noch fehlen, können Experten zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kommen, auch wenn sie faktenbasiert arbeiten.» Nicht umsonst gäbe es in der Wissenschaft sogenannte Metaanalysen, die die Ergebnisse von Einzelstudien zusammenstellen und in der Gesamtschau gemeinsam analysieren. «Bis es solche Metaanalysen gibt, dauert es aber.»

Hölzel geht jedoch davon aus, dass sich die Situation künftig bessern werde: «Immer mehr Studien werden durch Peer-Review überprüft sein und wir werden vermehrt mit Hilfe von Metaanalysen und Review-Artikeln die Spreu vom Weizen trennen können.»

Politische Entscheide nicht Sache der Wissenschaft

Im Moment aber ist das noch schwierig – vor allem für Laien. Durch Blogs und Social Media erreichen auch Forschende mit zum Teil unreflektierten Aussagen ein grosses Publikum. So zählte ein Video des Arztes Wolfgang Wodarg auf Facebook weit über eine Million Aufrufe. In mehreren Sprachen wird es bis heute auf Youtube weiterverbreitet. Im Video bezeichnet Wodarg – viele Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages und Europarates und dort zuständig für Fragen der Sicherheit, Medizin und Gesundheit – das Coronavirus als nicht schlimmer als eine schwere Grippe und ruft dazu auf, die Panik zu stoppen.

Doch warum sollte man Wodargs Aussagen nicht vertrauen? Immerhin war er Initiator der Untersuchungen des Europarates zur Schweinegrippe und damit bestens vertraut, wie mit Pandemien umgegangen werden muss. Oder?

Nein. «Risikobewertung ist zu Recht keine wissenschaftliche, sondern eine politische Aufgabe», sagt Hölzel. «Die Aufgabe der Wissenschaft ist hier klar darauf beschränkt, Fakten und Sachaussagen zu liefern und sie hinsichtlich ihrer Plausibilität, Aussagekraft und der möglichen Implikationen zu bewerten.» Es sei oft nicht angemessen, von Forschenden eine politische Bewertung zu erwarten. «Forschende sind gar nicht geschult darin, interdisziplinäre Entscheidungen solcher Tragweite zu treffen.»

Niemand ist in allem kompetent

Es gebe aber mehrere Merkmale, durch die man auch als Laie erkennen kann, welche Forschenden vertrauenswürdig sind: «Seriöse Wissenschaftler sind allenfalls in einzelnen Punkten ‹meinungsstark›, nicht pauschal. Jemand, der immerzu die Welt erklären kann, hat sich einfach noch nicht ausreichend mit all ihren Facetten beschäftigt», sagt Hölzel. Ebenfalls ein gutes Zeichen sei, wenn Wissenschaftler sich korrigieren, Dinge neu einordnen und Haltungen auf Basis neuer Erkenntnisse verändern. «Auch wenn viele Menschen davon erst eher verunsichert werden.»

Ähnlich sieht das Servan Grüninger, Biostatistiker an der Universität Zürich und Präsident von «reatch», einer Ideenschmiede für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft: «Kompetente Einschätzungen von Expertinnen kann man daran erkennen, wenn sie differenziert sind, bestehende Unsicherheiten einordnen, ohne dabei in Beliebigkeit zu verfallen, und deutlich machen, auf welche Annahmen oder Quellen sich die Einschätzungen stützen», sagt er. «Kompetenz sollte nicht als Eigenschaft einer Person, sondern als Beschreibung einer Handlung oder Aussage betrachtet werden.» Insofern solle man jedes Mal aufs Neue beurteilen, ob eine Einschätzung kompetent sei oder nicht.

Medien müssen aufpassen

Grüninger sieht hier Medienschaffende in der Pflicht: «Journalisten sollten in erster Linie jene Personen als Experten zu Wort kommen lassen, die sich auch wissenschaftlich mit dem behandelten Thema beschäftigen», schreibt er. «Entscheidend ist hierbei, die wissenschaftlichen Disziplinen nicht in einen Topf zu werfen.» Das heisst: Ein Virologe ist nicht zwangsläufig kompetent, epidemiologische Modelle einzuschätzen und ein Epidemiologe ist nicht per se Experte für Infektionskrankheiten.

Auch die Mikrobiologin Hölzel kritisiert manche Medien: differenziert-abwägenden Aussagen von Forschenden würden von Medien oft entweder nicht aufgegriffen oder gekürzt. «Pro und Kontra verkauft sich besser.» Sie appelliert deshalb an die guten Dienste der Medien. «Selbst ich als Wissenschaftlerin habe beispielsweise schon vom Faktencheck des Bayrischen Rundfunks profitiert.»

Autor*innen

Autor*in

Sandro Bucher ist Social Media Manager und Redaktor beim Wissenschafts-Magazin higgs. Vor seiner Zeit bei higgs absolvierte er, neben dem Studium in Journalismus und Organisationskommunikation an der ZHAW in Winterthur, diverse Praktika und arbeitete als freischaffender Journalist, unter anderem beim SRF, diversen Regionalzeitungen und bei 20 Minuten.

Die Beiträge auf dem Reatch-Blog geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder und entsprechen nicht zwingend derjenigen von Reatch oder seiner Mitglieder.

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